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Das «Recht auf Laden» kommt

Die Motion «Recht auf Laden» von Nationalrat Jürg Grossen wurde vom Parlament angenommen. Im Interview erklärt der Grünliberale, weshalb das so wichtig ist und welche Rolle Elektroautos bei der Energiewende spielen.

Jürg Grossen (56) vertritt seit 2011 die Grünliberalen Schweiz im Nationalrat und ist seit 2017 auch deren Parteipräsident. Der Elektroplaner präsidiert die Verbände Swiss eMobility und Swissolar.
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In der Sommersession hat das Parlament Ihre Motion «Recht auf Laden» angenommen. Was bedeutet das?

Das bedeutet, dass die Mieterinnen und Mieter sowie Stockwerkeigentümer künftig in ihrer Garage Zugang zu einer Ladestation erhalten. Bisher waren sie dafür vom Einverständnis ihrer Vermieter oder der anderen Stockwerkeigentümer abhängig. Wir sprechen deshalb von einer «Unverbietbarkeit» von Ladestationen und vergleichen das mit dem Glasfaseranschluss und den dafür nötigen Leitungen in Mehrfamilienhäusern.

Gibt es denn so viel Gegenwehr von Vermieter-Seite, dass dafür ein neues Gesetz nötig ist?

Ja, der Widerstand ist enorm, wie wir beim Verband Swiss eMobility, wo ich Präsident bin, immer wieder gemeldet bekommen. Auch die Autoverkäufer bestätigen uns, dass die private Ladesituation meist das grösste Hindernis ist, um ein Elektroauto zu kaufen. Denn wer nicht zu Hause laden kann, für den ist die Elektromobilität zu wenig attraktiv. Umso wichtiger ist das Recht auf Laden oder eben die «Unverbietbarkeit» bei uns, wo mehr als 70 Prozent der Bevölkerung Mieter oder Stockwerkeigentümer sind.

Weshalb wehren sich Vermieter gegen die Installation einer Ladestation?

Viele sind offenbar immer noch der Meinung, Ladestationen zu Hause seien unnötig. Zudem sind zahlreiche Vorurteile gegen die Elektromobilität vorhanden. Und natürlich kostet eine solche Grundinstallation auch Geld. Wobei das nicht enorm ist, wenn man sich für ein steuerbares, intelligentes System entscheidet.

Bleiben diese Kosten am Vermieter hängen?

Nein, er kann sie auf die Mieter umlegen, beispielsweise über den monatlichen Mietpreis für den Garagenplatz. Dafür haben wir vor zwei Jahren die entsprechenden Leitfäden ausgearbeitet, zusammen mit dem Mieterverband, dem Hauseigentümerverband und der Auto- und Strombranche.

Die Gegner monierten, das Recht auf Laden bedeute einen unverhältnismässigen Eingriff in die Eigentumsrechte.

Ich sehe das nicht so. Alle Schweizer haben das Recht, dass sie in allen Lebenssituationen bis hin zur Mobilität mit Energie versorgt werden. Auch die Mieterinnen und Mieter. Das Bundesamt für Justiz stellt sich übrigens auf den Standpunkt, dass das Recht auf Laden als übergeordnetes Interesse eingeordnet werden kann.

Nun geht der Bundesrat an die Ausarbeitung des Gesetzes. Wann kommt das Recht auf Laden konkret?

Das ist noch nicht klar. Es gibt genügend Beispiele von Gesetzesprojekten, die lange verschleppt werden und am Schluss noch abstürzen. Wir setzen uns für eine einfache, pragmatische und rasche Umsetzung ein. Ich bin überzeugt, dass das Gesetz in einem, maximal zwei Jahren vorliegt.

Der Bundesrat hat sich gegen Ihre Motion ausgesprochen. Macht er genug, um die Elektromobilität zu fördern?

Nein, überhaupt nicht. Der Grossteil des Bundesrats ist ebenso in alten Denkmustern gefangen wie viele Stockwerkeigentümer oder Gebäudebesitzer. Er wollte zwar die Förderung für Ladeinfrastruktur mit dem CO2-Gesetz einführen, hat das beim Parlament aber nicht durchgebracht. Das Recht auf Laden ist sowieso die bessere Methode, weil die Kosten von den Nutzern getragen werden und man dafür nicht Steuergelder aufwenden muss.

Die Roadmap 2025 des Bundesamts für Energie sah vor, dass dieses Jahr 50 Prozent aller Neuzulassungen Steckerautos sein sollten. Aktuell sind wir, inklusive der Plug-in-Hybride, erst bei 30 Prozent. Wieso?

Das hat verschiedene Gründe. Der wichtigste ist wohl der fehlende Zugang zur Ladeinfrastruktur – bei über 70 Prozent der Bevölkerung, die bisher nicht selbst beschliessen können, welche Infrastruktur auf ihrem Parkplatz vorhanden ist. Dann wurde 2024 eine Importsteuer auf Elektroautos eingeführt. Es hat gleich ein paar Faktoren gegeben, weshalb die Ziele verfehlt werden.

Sie haben selbst eine Roadmap erstellt: die Roadmap Grossen. Was sind deren wichtigste Punkte?

Meine Roadmap ist nicht allein für die Mobilität gemacht, sondern für die gesamte Energieversorgung in der Schweiz. Darin zeige ich auf, dass wir mit der Strategie, wie sie im neuen Stromgesetz beschlossen wurde, das ganze Land komplett mit erneuerbarer Energie versorgen können. Also ausschliesslich mit Solar, Wind und Wasser. Bereits heute verzeichnen wir Perioden, in denen wir gegen 80 Prozent des gesamten Schweizer Verbrauchs mit Solarenergie decken – das ist gigantisch!

Die Solarenergie fällt jedoch nicht gleichmässig an.

Auch beim heutigen, starren System muss man stark mit Speichern arbeiten, um die konstante Bandenergie an den schwankenden Verbrauch anzupassen. Jetzt gilt es, dieses System auf die erneuerbaren Energien umzustellen. Das bedingt Anpassungen der Tarifstruktur, damit die Waschmaschine oder der Boiler am Mittag bei Sonnenschein und viel Solarstrom eingeschaltet wird und nicht nachts, wenn die Tarife fälschlicherweise immer noch günstiger sind.

Welche Rolle spielen dabei Elektroautos?

Sie werden zu einem absolut zentralen Faktor. Die Elektroautos sind die am einfachsten steuerbare Stromaufnahmequelle, indem man sie dann lädt, wenn es viel Solarenergie hat. Und sobald viele Modelle bidirektional funktionieren, also Strom laden und auch wieder abgeben können, haben wir auf einmal ganz viele dezentrale Speicher. Bis in 20 Jahren wird die Speicherkapazität der verfügbaren Autobatterien deutlich grösser sein als die aller Pumpspeicherwerke zusammen. Und der Autonutzer merkt nicht, ob das System lädt oder entlädt, die Reichweite ist jederzeit garantiert.

Die Elektromobilität überzeugt besonders, wenn der Strom aus erneuerbaren Quellen stammt. Geht es mit deren Ausbau schnell genug voran?

Wo es hauptsächlich vorangeht, ist auf den Gebäuden. Die Schweiz ist Pro-Kopf-Weltmeisterin im Produzieren von Solarstrom auf Dächern. Und das macht Sinn. Es gibt nichts Effektiveres, als den Strom dort zu produzieren, wo er verbraucht wird. Das ist wie der Salat aus dem eigenen Garten. Hinzu kommt: Der Zubau geht viel schneller voran, als der Verbrauch steigt. Wir brauchen letztlich trotz Elektromobilität gar nicht viel mehr Strom, weil die Effizienz weiterhin stark zunimmt – jedes neue elektrische Gerät ist um Faktoren effizienter als das alte. Deshalb verbraucht die Schweiz heute gleich viel Strom wie vor 20 Jahren. Trotz 500 000 Wärmepumpen, 250 000 Elektroautos, unzähligen Rechenzentren und anderthalb Millionen mehr Menschen.

Wie sieht die Energielösung für den Winter aus?

Das ist sicher das Pièce de Résistance. Wir werden im Sommer erhebliche Überschüsse an Solarstrom haben. Ich würde in allerlei Speichermöglichkeiten investieren, beispielsweise in die Produktion von synthetischen Treib- und Brennstoffen, aus welchen wir im Winter bedarfsgerecht Energie zurückgewinnen können.

InterviewReto Neyerlin

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